**Mit gesellschaftlichem Engagement Geld verdienen / Neue Sichtweisen werden populär **
Wir stehen vor der vermutlich größten Transformation unserer Gesellschaft, und sie betrifft alle Bereiche: Wirtschaft, Politik, Bildung und Zivilgesellschaft. Dieser Wandel kann nur gelingen, wenn wir in der Diskussion um „Nachhaltigkeit“ Neues wagen und neu über das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Gesellschaft nachdenken. Viele Wirtschaftsethikprotagonisten verschanzten sich in den vergangenen Jahrzehnten gemütlich in ihrer „Komfortzone“ – sie erklär ten sich einfach zu Verteidigern des Gemeinwohls oder zu Kämpfern gegen die „böse“ Wirtschaft. Dementsprechend eintönig waren die meisten Diskussionen der letzten 30 Jahre zwischen Wirtschaftsvertretern und ihren Kritikern.
Diejenigen, die reine Profitmaximierung predigten, lebten ganz gut davon, aber auch deren Kritiker, die gegen die vermeintlich „bösen“ Wirtschaftsinteressen kämpften, sicherten sich damit insgeheim ihre jeweils eigenen Interessen und Pfründe. Statt Brücken zu bauen, trieben sowohl die alten Managementvertreter als auch einige Nachhaltigkeitsvertreter die gesellschaftliche Spaltung weiter voran. Denn beide Argumentationslinien basieren meist auf einem konstruierten Gegensatz zwischen Profitabilität und Nachhaltigkeit. Und so ist es nicht verwunderlich, dass wir derzeit vor einem Scherbenhaufen der öffentlichen Diskussion in Sachen nachhaltiges Wirtschaften stehen – auf der einen Seite die vermeintlich konsequenten, aber meist moralisierenden Nachhaltigkeitsvertreter, auf der anderen Seite die Verfechter eines überholten Managementdenkens à la „anything goes“. So fordern die selbsternannten Kämpfer für das Gute weiterhin konsequent und immer lauter Verzicht und Moral, die anderen, die sich als Verteidiger des Status quo sehen, wollen hingegen die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen mit immer mehr Wachstum und Effizienz lösen.
In dieser festgefahrenen Diskussion zeigt sich nun ein Silberstreif am Horizont. Wie immer kommt die Lösung in erlahmten intellektuellen Diskussionen von Querdenkern und ChangeMakern, die sich nicht an alte Konzepte und Paradigmen halten. Pragmatische Unternehmer, die neue Geschäftsmodelle entwickeln, welche hoch profitabel sind, weil sie der Gesellschaft nützen. Investoren, die immer mehr erkennen, dass Investitionen in genau solche nachhaltigen Unternehmen nicht weniger, sondern einen höheren Return on Investment erzielen. Junge BWLStudierende, die sich nicht länger zwischen Karriere und einem Leben mit Werten entscheiden,
sondern mit Sinn und positivem gesellschaftlichen Impact gutes Geld verdienen wollen. Und junge Professoren, die die alten Annahmen der Betriebswirtschaftslehre konsequent hinterfragen. All diesen ChangeMakern ist eines gemein: Statt in Knappheiten zu denken, sehen sie die Fülle der unternehmerischen Möglichkeiten und die systemische Verbindung von wirtschaftlichen Erfolg und Nachhaltigkeit, um positiv für andere zu wirken und gleichzeitig Profite zu maximieren.
Erste Zeichen dieses Paradigmenwandels sind nun auch in der Nachhaltigkeitsdiskussion zu erkennen, wenn zum Beispiel John Elkington öffentlich sein weltbekanntes Konzept der Triple-Bottom-Line kritisch hinter fragt. Es ist nunmehr 25 Jahre her, seit das Triple-Bottom-Line-Konzept entwickelt wurde. Es sind viele positive Entwicklungen daraus entstanden, zum Beispiel die Global Reporting Initiative, der Dow Jones Sustainability etc. Aber die wirtschaftlichen Systeme und Paradigmen als solche haben sich nicht wesentlich verändert. So hat der Klimawandel sogar noch an Schnelligkeit zugenommen. Daher die Frage: Ist es den alten Nachhaltigkeitskonzepten gelungen, das Wirtschaftssystem positiv zu verändern? John Elkington fragt sich 25 Jahre später: „Wenn nicht das Konzept der Triple-Bottom-Line die Wirtschaft verändern kann – was dann?“ Um die se Frage zu beantworten, hinterfragen Vorreiter der Nachhaltigkeitsszene erneut grundlegend das Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft.
Ed Freeman, Professor für Business Ethics an der Darden School der University of Virginia und Begründer des Stakeholder Ansatzes, glaubt, dass der gegenwärtige Kapitalismus sich verändern wird – zumindest in der nächsten Generation. Die gegenwärtigen Diskussionen eines Paradigmenwechsel drehen sich seiner Meinung nach um fünf Kernpunkte:
1: Die Bedeutung des Zwecks (engl. purpose) eines Unternehmens.
2: Die Erfolgswirksamkeit von Werten und Ethik.
3: Wertschöpfung für alle Stakeholder und nicht nur für die Shareholder.
4: Die wechselseitige Abhängigkeit aller Stakeholder.
5: Unternehmen als Teil der Gesellschaft und nicht nur als Akteur auf einem illusionären „Markt“.
Freeman sieht „Unternehmertum dabei als Chance, die Welt positiv zu verändern“, und sagt voraus, dass immer mehr Investoren in nachhaltige Unternehmen investieren. Wayne Visser, Professor an der Antwerpener Management School, entwickelte das Konzept der integrativen Wertschöpfung. Diese muss in Zukunft
erstens sicher,
zweitens smart,
drittens geteilt (engl. shared),
viertens nachhaltig und
fünftens befriedigend (engl. satisfying) für alle sein.
Mit diesem neuen Ansatz soll es gelingen, den Paradigmenwechsel in der Wirtschaft einzuläuten.
All diese tiefgreifenden Gedanken bewegen derzeit nicht nur die Wirtschaft und die zugrundeliegende Betriebswirtschaftslehre, sondern auch die Nachhaltigkeitsszene, die sich aus ihrer Komfortzone hinausbewegen muss. Dazu braucht es auch eine neue Art von Leadership, die nicht in Knappheiten, sondern in Möglichkeiten denkt. Nach Ansicht von Debbie HaskiLeventhal, Professorin an der Macquarie Universität in Australien, sollte die zukünftige Unternehmensführung wertebasiert und zweckgetrieben sein. Und auch die Managementansätze des Center for Advanced Sustainable Management (CASM) in Köln zielen darauf ab, den eigenen Nutzen gemeinsam mit den Stakeholdern zum wechselseitigen Vorteil zu erhöhen.
Kooperation in einer Welt voller Möglichkeiten wird damit zum entscheidenden Element, um gemeinsam Mehrwert zu generieren. Um dieses neue Paradigma des „nachhaltigen Managements“ zu verwirklichen, gilt es, die Gegenwart nicht länger aus der Vergangenheit zu denken. Es geht nicht mehr darum, nächstes Jahr fünf Prozent effizienter zu werden und/ oder den Umsatz um drei Prozent zu steigern. Es geht nicht mehr nur um die Frage, wie kann ich den Output erhöhen und gleichzeitig den Input senken. Es hilft dann auch nicht, dieses veraltete Managementparadigma durch ein Nachhaltigkeitsmanagement zu ergänzen. Vielmehr gilt es, kreativ neue Möglichkeitsräume ohne Gegensatzdenken zu entwickeln und darin systematisch unternehmerisch positiven Impact zu generieren. Dazu braucht es eine ganz neue Perspektive, die die Gegenwart von der Zukunft aus denkt. „Wir benötigen dafür eine Vision, in welcher Welt wir leben wollen, welcher Impact jedes einzelnen Unternehmens dafür notwendig ist,“ sagt Patrick Bungard, Gründer der M3TRIX GmbH und Mitorganisator der CSRManagementkonferenz der Cologne Business School in Köln.
Alle diese Fragen bilden eine ganz neue Grundlage für die Managementlehre und überwinden damit auch den oft konstruierten Gegensatz zwischen Investoren und Gesellschaft. Dank der Erkenntnisse aus Big Data und künstlicher Intelligenz steigt nun auch die Nachfrage der Investoren nach Unternehmen mit nachhaltigen Geschäftsmodellen massiv an, so Georg Kell von Arabesque Partners und Protagonist bei den Principles for Responsible Investment, der Sustainable Stock Exchange und den Principles for Responsible Management der UN. Als eine Herausforderung gilt aber immer noch, dass viele Aufsichtsräte mit dem Thema Nachhaltigkeit derzeit nicht vertraut sind und oft noch dem Paradigma des Industriezeitalters folgen. Aber auch hier zeichnet sich eine Veränderung ab: Große Investoren unterstützen im mer deutlicher das neu entstehende Managementparadigma und fordern die Unternehmenslenker zum Umdenken auf. So verlautbarte BlackRockCEO Larry Fink jüngst, dass innerhalb der nächsten fünf Jahre Investoren den gesellschaftlichen Impact eines Unternehmens sowohl auf die Gesellschaft als auch auf die Umwelt messen werden, um so den Wert eines Unternehmens zu ermitteln. Damit wäre dann auch der Shareholder Stakeholder Gegensatz endgültig aufgelöst. Studien führender Universitäten untermauern zudem dieses neue integrative Verständnis eines nachhaltigen Managements, welches derzeit sowohl alte Management als auch Nachhaltigkeitsansätze revolutioniert. So ist auch Robert G. Eccles, Professor of Management Practice an der Oxford University, davon überzeugt, „dass die Kapitalmärkte der Schlüssel zur nachhaltigen Entwicklung sind, und der Schwerpunkt meiner Arbeit liegt darin, sie soweit wie möglich dazu zu befähigen. Dies erfordert ein Engagement von Unternehmen, Investoren und der öffentlichen Hand.“
In Zukunft werden diese neuen Sichtweisen wohl an immer mehr Business Schools und Wirtschaftsuniversitäten vermittelt und neue Managementansätze gelehrt, um die nächste Führungsgeneration rechtzeitig auf die neuen Rahmenbedingungen in den Unternehmen vorzubereiten.